„Hochgradig energieautarke Gebäude rechnen sich!“
Energieautarkes Wohnen ist heute schon Realität. Das beweist Energieexperte Timo Leukefeld mit seinem Autarkie-Team und innovativen Konzepten. Im Interview erläutert er, wie energetische Sanierung, Dach-PV-Anlagen und Energieflatrates bei hochgradig energieautarken Mehrfamilienhäusern zusammenspielen – und sich so für Mietende und Vermietende gleichermaßen lohnen.
Herr Leukefeld, sind energetische Sanierungen heute noch attraktiv für Investoren?
Auf jeden Fall. Aber es kommt auf das „wie“ an. Denn das alte Geschäftsmodell – hohe Investitionen einfach auf die Kaltmiete umlegen – funktioniert angesichts der Inflation, steigender Energiepreise und Reallohnverlusten einfach nicht mehr. Kaum jemand kann sich noch große Mietsteigerungen leisten. Und wenn Investoren keine zusätzlichen Mieteinnahmen generieren können, nehmen sie natürlich kein Geld in die Hand. An dieser Stelle befinden wir uns in einem Nutzer-Investor-Dilemma. Daher plädiere ich für einen ganzheitlichen Ansatz, damit sich klimafreundliche Investitionen in Gebäude rechnen.
Was bedeutet ganzheitlich für Sie konkret?
Ich möchte mehr in den Fokus nehmen als die Gebäudehülle und Anlagentechnik. Zum Beispiel die Mobilität. Die Technik ist da: Sie können problemlos Ihr E-Auto mit zwischengespeichertem PV-Strom von Ihrem Dach laden. Was das für Vorteile für Umwelt und den Geldbeutel hat, wenn man alles gemeinsam betrachtet! Und wenn Sie in Mehrfamilienhäusern Carsharing für die Hausgemeinschaft anbieten und es mit der Pauschalmiete auf alle Mieter umgelegt wird, haben Sie richtig viel Potenzial: Erstens für die Mieter, die ihr eigenes Auto abschaffen können und bei Bedarf Strom vom Dach tanken. Zweitens für Investoren, die mit einer Energieflatrate für Strom, Heizung und Mobilität höhere Gesamtmieten realisieren können. Und drittens für die Umwelt, da die Häuser zwingend energieeffizient sein müssen und den Großteil ihres Energiebedarfs mit Solaranlagen selbst produzieren.
In Aschersleben haben Sie gezeigt, dass der Ansatz auch bei alten Plattenbauten funktioniert.
Erst einmal wollte sich keiner an die Platte heranwagen – auch wir nicht. Dann haben wir angefangen, die Sache genauer zu untersuchen und haben bei den Bewohnern geklingelt und sie nach ihren gesamten Energiekosten gefragt. Das Ergebnis war erschreckend: Insgesamt zahlten die Menschen pro Quadratmeter bis zu 7 Euro an Energiekosten für Heizung, Warmwasser, Haushaltsstrom und Auto betanken – zusätzlich zur Kaltmiete von 5 Euro! Die Leute wohnten also nur vermeintlich billig. Für uns bedeutete das: Die Gesamtmiete darf auf maximal 12 Euro erhöht werden, um die Mieter nicht zusätzlich belasten. Das hat uns einen neuen Spielraum verschafft. Heute zahlen die Mieterinnen und Mieter 11,50 Euro pro Quadratmeter pauschal für fünf Jahre garantiert und haben eine viel bessere Wohnqualität.
Erzählen Sie doch bitte, wie Sie vorgegangen sind.
Bei der Planung setzen wir auf dynamische Gebäudesimulationen. Damit machen wir seit Jahren gute Erfahrungen – und die Modelle werden immer besser, je mehr wir im Anschluss monitoren und nachjustieren. Wir haben dann eine energetische Grundsanierung auf KfW-55-Niveau durchgeführt. Wenn Sie einen Heizenergiebedarf unter 20 Kilowattstunden pro Quadratmeter haben, ist das bereits optimal, um einen radikalen Lowtech-Ansatz zu verfolgen. Wir verzichten auf Solarthermie, Wärmepumpe und Fußbodenheizungen. Stattdessen haben wir das Flachdach in ein Pultdach verwandelt, um mit den Dach-PV-Anlagen maximal effizient Strom zu produzieren, und Infrarotheizungen – sprich elektrische Direktheizungen, die eine angenehme Wärme abgeben – in den Wohnungen installiert.
Warum Infrarotheizungen – und keine effizientere Wärmepumpe?
Wenn Sie eine energieeffiziente Gebäudehülle haben und relativ wenig Heizenergie brauchen, können Infrarotheizungen am Ende sehr wirtschaftlich sein. Es werden Kabel anstatt Rohre für die Heizung verlegt. Sie sind wartungsfrei, kosten viel weniger und halten doppelt so lange wie Wärmepumpensysteme. Allein durch das Wegfallen von Messdiensten und Zählergebühren können bis zu 30 Prozent der Heizkosten eingespart werden. Und die Stahlbetonplatten als Energiespeicher eignen sich außerdem perfekt, um Infrarotheizungen effizient zu betreiben.
Wie sehen die Plattenbauten in Aschersleben heute aus?
Nach der energetischen Sanierung stehen hier hochmoderne Mehrfamilienhäuser. Alle Wohneinheiten sind mit Fahrstühlen ausgestattet und vollständig barrierefrei. Außerdem gibt es für die 22 Mietparteien des Wohnblocks zwei Carsharing-E-Autos. Jeder kann sich das Auto für vier Stunden am Tag mieten und auf ein eigenes Auto verzichten. Wir haben nur positives Feedback erhalten. Und unser Büro wird seit Aschersleben überrannt mit Anfragen, um alte DDR-Platten auf Lowtech-Basis zu sanieren. Lowtech ist das neue Hightech.
Und Sie bieten tatsächlich eine Pauschalmiete inklusive Energieversorgung an?
Ja, in Aschersleben gibt es eine Energieflatrate. Heizwärme, Strom, Warmwasser und sogar die E-Mobilität-Nutzung sind im Gesamtpreis inbegriffen. Damit fließt das Geld nicht mehr in die Tasche des fossilen Energieversorgers oder der Mineralölkonzerne – sondern wir teilen es zwischen Mieter und Vermieter auf.
Führt eine Pauschalmiete nicht dazu, dass Energie sorglos verschwendet wird?
Wir haben bisher nur gute Erfahrungen gemacht. In Aschersleben wohnen ganz unterschiedliche Leute, von sparsamen Rentnerinnen bis zu Familien, die natürlich mehr verbrauchen. Durch ein paar technische Kniffe können wir zusätzlich für Sicherheit sorgen. Die Fenster haben zum Beispiel einen eingebauten Kontakt: Wenn jemand im Winter das Fenster öffnet, geht automatisch die Infrarotheizung aus. Vertraglich haben wir wie beim Datenvolumen in Mobilfunkverträgen eine großzügig bemessene Obergrenze für den Energieverbrauch vorgesehen. Messen lässt sich das ganz einfach, da im ganzen Gebäude ausschließlich Strom fließt.
Kann jedes Gebäude zu einem energieautarken Mehrfamilienhaus umgebaut werden?
Leider nein. Ich schätze, dass nur etwa 30 Prozent des Bestandes auf dieses Niveau gebracht werden kann – das ist die schlechte Nachricht. Die gute Nachricht: Projekte wie Aschersleben produzieren im Sommer mit ihren PV-Anlagen enorme Überschüsse. Anstatt den Strom einzuspeisen, können Gebäude mit Stromüberschüssen ihre gesamte Nachbarschaft mitversorgen. So könnten wir etwa die Hälfte der Bestandsbauten innerhalb kurzer Zeit auf ein gutes Niveau bei ihrer Energiebilanz bringen.
Was erwarten Sie von der Politik?
Ich würde mir wünschen, dass Gebäude viel stärker in die Energieproduktion gehen – wir müssen All-in gehen bei der Solarenergie. Das schließt mit ein, andere Dachformen zu erlauben, um mehr PV-Anlagen unterzubringen. In der Planung sollten – wenn möglich – alle Häuser nach Süden ausgerichtet werden. Außerdem müssen wir Hürden abbauen, anstatt immer weiter Vorschriften zu machen – zum Beispiel bei neuen Geschäftsmodellen. Das gilt auch für die Vernetzung: Wenn ich eine PV-Anlage auf dem Dach habe, muss ich meinem Nachbar im Sommer problemlos meine Überschüsse verkaufen können. Das würde weiter dazu beitragen, dass Projekte sich rechnen, um im besten Fall sogar weitere Investitionen zu finanzieren. Siehe Aschersleben – hier wird bereits der vierte Wohnblock saniert. Dann brauche ich auch weniger Förderung. Und mir ist ganz wichtig, dass Bestandsgebäude nicht zu gestrandetem Anlagevermögen verkommen. Sie haben enorm viel graue Energie gespeichert, die wir nutzen sollten.
Über Timo Leukefeld
Prof. Dipl.‐Ing. Timo Leukefeld ist Energieexperte, Keynote Speaker, Dozent, Autor und Unternehmer. Der gelernte Instandhaltungsmechaniker arbeitete lange Zeit als Heizungsbauer. Heute forscht und lehrt er zu vernetzten, energieautarken Gebäuden, fördert aber auch deren praktische Umsetzung: Leukefeld und sein Autarkie‐Team sind Mittler zwischen Forschung, Entwicklung und dem ausführenden Handwerk.
Quelle: www.gebaeudeforum.de
Stand: Juni 2023